SIEBENUNDDREISSIG
Ich gehe nach unten und suche nach Eiscreme. Dabei weiß ich genau, dass ein gehaltvolles, sahniges Häagen-Dazs-Pflaster mein gebrochenes Herz auf gar keinen Fall heilen kann; aber vielleicht kann es helfen, den Schmerz zu lindern. Und nachdem ich einen Becher aus dem Gefrierschrank geholt habe, halte ich ihn eng umschlungen und greife gerade nach einem Löffel, da kracht das Ganze zu Boden, als ich eine Stimme sagen höre: »Rührend, Ever. Sehr, sehr rührend.«
Ich bücke mich und wische über meine Zehen, die ein halbes Pfund Vanilla Swiss Almond abgekriegt haben, während ich mit offenem Mund eine vollendet gestylte Drina anstarre - die Beine vornehm gekreuzt, die Hände gefaltet, eine richtige, sittsame Lady. Sie sitzt direkt vor mir an dem Frühstückstresen.
»Das war ja so süß, wie du nach Damen gerufen hast, nachdem du dir diese keusche Liebesszene ausgemalt hast.« Sie lacht und lässt den Blick an mir hinauf- und hinunterwandern. »Ah, ja, ich kann immer noch in deinen Kopf gucken. Dein kleiner Schutzschild? Dünner als das Turiner Laken, fürchte ich. Jedenfalls, was die Nummer angeht, dass ihr beide, Damen und du, glücklich bis ans Ende eurer endlosen Tage lebt?« Sie schüttelt den Kopf. »Also, du weißt ja, das kann ich nicht zulassen. Wie sich herausstellt, war es mein Lebenswerk, dich zu vernichten, und was glaubst du denn? Ich kann das immer noch tun.«
Ich sehe sie an und konzentriere mich auf meinen Atem, ganz langsam und gleichmäßig, während ich versuche, alle diskriminierenden Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen; ich weiß, dass sie dergleichen bloß gegen mich verwenden wird. Doch die Sache ist die, zu versuchen, Gedanken zu verbannen, ist ungefähr so effektiv, als würde man jemandem befehlen, nicht an Elefanten zu denken - von diesem Moment an denkt der Betreffende an nichts anderes.
»Elefanten? Wirklich?« Sie stöhnt auf, ein leiser, böser Laut, der im Raum vibriert. »Mein Gott, was findet er nur an dir? Dein Intellekt oder deine Schlagfertigkeit sind es ganz sicher nicht, da wir noch immer auf Beweise dafür warten, dass sie überhaupt existieren. Und deine Vorstellung von einer Liebesszene? So was von Disney, so was von Kinderfernsehen, so was von grauenvoll langweilig. Wirklich, Ever, darf ich dich daran erinnern, dass Damen schon seit hunderten von Jahren auf der Piste war, einschließlich der Sechziger mit all der freien Liebe?« Kopfschüttelnd sieht sie mich an.
»Wenn du Damen suchst, der ist nicht hier«, sage ich schließlich; meine Stimme klingt kratzig und heiser, als wäre sie tagelang nicht benutzt worden.
Sie zieht die Brauen hoch. »Glaub mir, ich weiß, wo Damen ist. Ich weiß immer, wo Damen ist - das ist meine Aufgabe.«
»Dann bist du also eine Stalkerin?« Ich presse die Lippen zusammen; mir ist klar, dass ich sie nicht gegen mich aufbringen sollte, aber, hey, was habe ich schon zu verlieren? Sie ist so oder so hier, um mich umzubringen.
Sie verzieht die Lippen, hält eine Hand in die Höhe und begutachtet ihre perfekt manikürten Fingernägel. »Wohl kaum.«
»Na ja, wenn du beschlossen hast, die letzten dreihundert Jahre oder so mit so was zu verbringen, dann könnten manche Leute vielleicht sagen -«
»Eher sechshundert, du grässliche kleine Kröte, sechshundert Jahre.« Sie sieht mich an und zieht ein finsteres Gesicht.
Sechshundert Jahre? Ist das ihr Ernst?
Sie rollt die Augen und steht auf. »Ihr Sterblichen, so öde, so dumm, so berechenbar, so gewöhnlich. Und doch inspiriert ihr trotz all eurer offenkundigen Mängel Damen anscheinend immer wieder dazu, die Hungrigen zu speisen, der Menschheit zu dienen, die Armut zu bekämpfen, die Wale zu retten, die Umwelt nicht zu verschmutzen, zu recyceln, für den Frieden zu meditieren, Nein zu Drogen, zu Alkohol, zum Geldrausschmeißen und überhaupt zu allem zu sagen, was sich lohnt - ein grauenvoll langweiliges altruistisches Streben nach dem anderen. Und wozu? Lernt ihr jemals dazu? Hallo! Globale Erwärmung! Anscheinend nicht. Und trotzdem, und trotzdem, irgendwie scheinen Damen und ich das immer wieder durchzustehen, obwohl es viel zu lange dauern kann, ihn umzuprogrammieren, wieder den lüsternen, hedonistischen Damen aus ihm zu machen, den ich kenne und liebe. Aber glaub mir, das hier ist bloß abermals so ein kleiner Umweg, und ehe du es dich versiehst, sind wir beide wieder ganz obenauf.«
Sie kommt auf mich zu, ihr Lächeln wird mit jedem Schritt breiter, wie eine Siamkatze streicht sie um den großen Granittresen herum. »Ganz ehrlich, Ever, ich verstehe einfach nicht, was du an ihm findest. Und ich meine nicht das, was jedes andere weibliche Wesen, und, seien wir ruhig aufrichtig, die meisten Männer an ihm finden. Nein, ich meine, es liegt doch an Damen, dass du anscheinend immer leidest. Wegen Damen machst du das alles jetzt hier durch. Hättest du doch nur diesen verdammten Unfall nicht überlebt.« Sie schüttelt den Kopf. »Gerade als ich gedacht hatte, ich kann mich gefahrlos davonmachen, gerade als ich gedacht hatte, du wärst tot - ehe ich weiß, wie mir geschieht, ist Damen nach Kalifornien gezogen, denn, Überraschung, er hat dich zurückgeholt!« Wieder schüttelt sie den Kopf. »Man sollte meinen, nach all diesen hunderten von Jahren hätte ich ein bisschen mehr Geduld. Aber du langweilst mich so ungeheuer, und das ist eindeutig nicht meine Schuld.«
Sie sieht mich an, aber ich weigere mich, ihr zu antworten; ich bin immer noch dabei, ihre Worte zu entschlüsseln - Drina hat den Unfall verursacht?
Sie betrachtet mich und verdreht die Augen. »Ja, ich habe den Unfall verursacht. Warum muss man dir nur alles buchstabieren?« Abermals schüttelt sie den Kopf. »Ich habe das Reh erschreckt, das euch vors Auto gelaufen ist. Ich habe gewusst, dass dein Vater ein rückgratloser, weichherziger Trottel war, der mit Freuden das Leben seiner Familie aufs Spiel setzen würde, um ein Reh zu retten. Menschen sind immer so berechenbar. Besonders die Ernsten, die versuchen, etwas Gutes zu tun.« Sie lacht. »Obwohl es ja am Schluss fast zu einfach war, als dass es Spaß gemacht hätte. Aber täusch dich nicht, Ever, Damen ist nicht hier, um dich zu retten, und ich werde lange genug hierbleiben, um den Job zu erledigen.«
Mein Blick huscht durch die Küche, sucht nach irgendetwas, das mir Schutz bieten könnte; ich betrachte den Messerblock auf der anderen Seite des Raums, doch ich weiß, dass ich ihn niemals rechtzeitig erreichen könnte. Ich bin nicht so schnell wie Damen und Drina. Zumindest glaube ich das nicht. Und es ist keine Zeit, es herauszufinden.
Sie seufzt. »Aber sicher doch, bitte, schnapp dir das Messer, wirst ja sehen, ob es mir etwas ausmacht.« Kopfschüttelnd sieht sie auf ihre diamantenbesetzte Uhr. »Allerdings würde ich wirklich gern anfangen, wenn du nichts dagegen hast. Normalerweise lasse ich mir ja gern ein wenig Zeit, amüsiere mich ein bisschen, aber heute ist Valentinstag, und, na ja, ich habe vor, mit meinem Schatz zu Abend zu essen, sobald ich dich eliminiert habe.« Ihre Augen werden dunkel, und ihr Mund ist verzerrt; einen kurzen Augenblick lang steigt all das Böse in ihr an die Oberfläche. Doch genauso schnell ist es sofort wieder verschwunden, ersetzt durch eine so atemberaubende Schönheit, dass es schwer ist, sie nicht anzustarren.
»Weißt du, bevor du aufgetaucht bist, in einer deiner ... früheren Inkarnationen, da war ich seine große Liebe. Aber dann bist du aufgekreuzt und hast versucht, ihn mir wegzunehmen, und seitdem ist es immer dasselbe.« Geschmeidig gleitet sie vorwärts, jeder Schritt lautlos und flink, bis sie unmittelbar vor mir steht, und ich keine Zeit gehabt habe, zu reagieren. »Aber jetzt hole ich ihn mir zurück. Und er kommt immer zurück, Ever, nur damit das klar ist.«
Ich greife nach dem Schneidebrett aus Bambus, weil ich denke, ich kann es ihr auf den Kopf hauen, doch sie fährt so schnell auf mich los, dass sie mich aus dem Gleichgewicht bringt und mich gegen den Kühlschrank schleudert. Die Wucht, mit der mein Rücken aufprallt, verschlägt mir den Atem, ich schnappe nach Luft, taumele und gehe zu Boden. Und höre das Tunk!, mit dem mein Kopf aufplatzt, als er auf dem Steinboden aufschlägt und mir eine warme Blutspur vom Schädeldach in den Mund läuft.
Ehe ich mich bewegen oder mich irgendwie zur Wehr setzen kann, ist sie über mir, reißt an meinen Kleidern, an meinem Haar, meinem Gesicht und flüstert mir ins Ohr: »Gib doch einfach auf, Ever. Entspann dich einfach, und lass los. Geh, und gesell dich zu deiner glücklichen Familie, die warten alle auf dich. Du bist nicht für dieses Leben geschaffen. Und das hier ist deine Chance, es hinter dir zu lassen.«